Im heutigen Beitrag möchte ich einmal einen Blick hinter die Kulissen und auf ein spannendes Berufsfeld werfen. Ich habe mich gefragt, wie das ist, mitten drin zu sein im Doku-Geschehen und eigene Filme von der Idee bis zur Ausstrahlung zu begleiten. Dafür habe ich mit Anja gesprochen. Sie ist 23 Jahre alt und macht seit Oktober 2019 ein Volontariat bei einer Filmproduktionsfirma, die sich auf Dokumentationen spezialisiert. Vor ihrem Volontariat hat sie einen Bachelor in Publizistik mit Beifach Geschichte gemacht. Nach dem insgesamt 18 Monate langen Volontariat darf Anja sich ausgebildete Autorin und Regisseurin nennen. Das Interview mit ihr habe ich am 22.11.2020 geführt.
Wie würdest du das Profil der Produktionsfirma beschreiben, bei der du arbeitest?
Die Firma ist ziemlich klein, wie sind insgesamt zehn Leute. Wir machen ausschließlich Dokumentationen, die in der Regel zwischen 30 und 45 Minuten lang sind. Hauptsächlich produzieren wir für verschiedene Formate beim ZDF, dem SWR und 3sat.
Wie bist du an die Firma geraten? Wolltest du schon immer in dem Bereich arbeiten oder war das eher Zufall?
Das war eigentlich eher Zufall. Am Anfang des Studiums dachte ich, ich will Printjournalismus machen. Dann habe ich ein Praktikum beim Hörfunk gemacht und wollte unbedingt zum Radio. Meine erste Fernseherfahrung habe ich mit einem Praktikum beim ZDF gesammelt. Da wurde mir die Produktionsfirma, bei der ich jetzt bin, genannt, ich habe mich dort gemeldet und dann über zwei Jahre neben meinem Studium dort gearbeitet. Danach konnte ich nahtlos ins Volontariat übergehen.
Also hattest du dich nicht von vorneherein auf einen Bereich festgelegt?
Nein. Mir war einfach wichtig, dass die Arbeit sich so anfühlt, als hätte sie einen Sinn, und dass die Wissensvermittlung im Vordergrund steht. Über welches Medium das passiert, ist für mich nicht so wichtig. Hauptsache, man hat die Möglichkeit, ein Thema umfangreich zu präsentieren, kann recherchieren und die Themen richtig aufarbeiten. Das Medium Film eignet sich dafür gut, weil die Prozesse ziemlich lange dauern und man dadurch viel Zeit hat, sich mit einem Thema auseinanderzusetzen.
Wie läuft der Entstehungsprozess einer Doku bei euch ab?
Wir arbeiten immer für einen bestimmten Kunden. Wenn wir zum Beispiel für die 3sat Doku einen Film produzieren wollen, beginnen wir damit, gezielt nach Themen zu suchen, die diese Redaktion interessieren könnten. Dazu wird ein Papier geschrieben, das man beim Sender einreicht, um zu fragen, ob sie Interesse an dem Thema haben. Bei einer positiven Antwort können wir dann genauer recherchieren und überlegen, welche Unterthemen es geben soll, wie man das Thema gut erzählen kann, welche Protagonisten wichtig sind und so weiter. Es wird dann ein erster Entwurf für den Filmablauf erstellt, der wiederum dem Sender vorgelegt wird. Wenn die Redaktion des Senders zustimmt, geht es an die Details: Wie sollen die einzelnen Kapitel des Films aufgebaut werden? Was soll alles gedreht werden? Außerdem nehmen wir Kontakt zu den Leuten auf, die wir im Film haben wollen. Dabei ist es nicht nur wichtig, Interviews vorzubereiten, sondern man muss sich auch überlegen, wie man an passende und abwechslungsreiche Bilder kommt, das kann ein sehr aufwendiger Prozess sein. Der nächste Schritt ist die Drehvorbereitung. Wir müssen überlegen, wie wir zum Drehort kommen, wo wir übernachten und wie die Interviews ablaufen sollen. Außerdem müssen wir uns natürlich die Interviewfragen überlegen. Es ist sehr wichtig, dass man sich auf den Dreh gut vorbereitet, man sollte vorher schon wissen, welche Aussagen man mit jedem Kapitel des Films treffen möchte.
Beim Dreh arbeiten wir mit Kamerafachleuten und Tonassistenten zusammen. Die Kameraleute kümmern sich zwar um die Aufnahme der Bilder, aber als Regisseurin gebe ich Impulse, welche Bilder oder Perspektiven wir brauchen. Nach dem Dreh bereiten wir das Material für den Schnitt vor. Wir erstellen ein Schnittkonzept, an dem sich der Schnittmeister orientiert. Als nächstes legt man den Film der Redaktion vor. Das ist die Abnahme, davon gibt es meistens zwei. Nach der ersten Abnahme haben wir eine Überarbeitungszeit, in der wir zum Beispiel die Sprechertexte für den Film schreiben und einsprechen lassen. Bei der Sprachaufnahme sind wir auch dabei. Für die abschließende Tonmischung und Farbkorrektur ist eine externe Firma zuständig. Wenn der Film dann fertig ist, geben wir ihn aus den Händen und der Sender bekommt ihn.
Wie lange dauert es von der ersten Idee bis zur Ausstrahlung des Films?
Das ist ganz unterschiedlich und lässt sich schwer sagen, weil wir nie nur an einem Projekt arbeiten. Ich habe zum Beispiel gerade mit vier verschiedenen Projekten zu tun, zwei davon werden sich über ein Jahr ziehen. Die intensive Arbeitszeit dauert bei einem 45-minütigen Film schon mindestens drei Monate. Ich kann ja mal erzählen, wie es bei einem Film von mir war, der dieses Jahr ausgestrahlt wurde: Die intensive Arbeit hat da im November 2019 angefangen, mit der Recherche. Die ersten Drehs hatten wir Ende Januar, wir haben bis Ende März gedreht. Im April wurde dann am Schnitt und an verschiedenen Anpassungen gearbeitet, und ausgestrahlt wurde der Film letztendlich im Mai.
Welchen Aspekt findest du an deinem Beruf am schönsten?
Am meisten gefällt mir, dass ich jeden Tag etwas Neues dazulerne. Ich kann mich mit ganz vielen unterschiedlichen Themen beschäftigen, wir machen ja Dokumentation zu kulturellen, gesellschaftlichen, wissenschaftlichen und vielen anderen Themen. Um einen guten Film machen zu können, muss man sich wirklich tief ins Thema einarbeiten und in dieser Zeit sozusagen zum Experten werden. Das finde ich total cool! Ich dachte immer, nach der Schule und der Uni ist es mit dem Gelerne vorbei, aber in meinem Beruf lernt man wirklich ständig dazu, man hat nie ausgelernt. Das gefällt mir am besten.
Was findest du an deiner Arbeit besonders herausfordernd?
Was mir vorher nicht bewusst war, ist das Abhängigkeitsverhältnis zwischen externer Produktionsfirma und Sender. Wir sind ein Dienstleister, der Sender ist unser Kunde. Mit dieser Bezeichnung wird das Verhältnis eigentlich schon deutlich, aber das war mir am Anfang nicht so klar. Am Anfang meines Volontariats dachte ich, wir können die Filme so machen, wie wir es richtig finden, und sie dann als Endprodukt verkaufen. Aber die Redaktion ist von Anfang an dabei und bringt eigene Vorstellungen mit. Das fand ich am Anfang schwierig, weil man von seinem ursprünglichen Konzept abweichen können muss. Ich musste mich erst darauf einstellen, mit den betreuenden Redakteuren, die alle ihre eigene Meinung und eigene Präferenzen mitbringen, zusammenzuarbeiten. Herauszufinden, was den verschiedenen Redakteuren wichtig ist, kann manchmal schwierig sein.
Welche Fähigkeiten muss man deiner Meinung nach mitbringen, um in dem Beruf zu arbeiten?
Offenheit, als allererstes! Offenheit in allen Bereichen, vor allem Menschen gegenüber. Es darf einem nicht unangenehm sein, ganz viele Fragen zu stellen, zu telefonieren und im Zweifel immer wieder nachzuhaken. Früher mochte ich es gar nicht, zu telefonieren, aber inzwischen kann ich Leute echt jeden Mist fragen und das macht mir gar nichts mehr aus. Und dann braucht man auch Offenheit Themen gegenüber. Manche Themen wirken vielleicht auf den ersten Blick total langweilig, aber wenn man sich richtig einarbeitet und sich darauf einlässt, wird etwas Spannendes daraus. Man braucht ein offenes Auge für Sachen, die erstmal klein wirken, aus denen aber, wenn man sich einarbeitet, große Themen werden können.
Fallen dir auch Kompetenzen aus deinem Studium ein, die du jetzt noch brauchst?
Ich denke, das, was ich im Studium gelernt habe, dient mir als gutes Hintergrundwissen. Ich habe dort generell gelernt, wie bestimmte Prozesse funktionieren. Aber am Ende kommt es fast nur auf die Praxiserfahrung an. Wenn ich keine Praktika gemacht hätte, hätte ich den Job heute nicht.
Weißt du schon, ob du langfristig in dem Beruf bleiben möchtest?
Das ist eine gute Frage. Ich denke, ich werde schon erstmal weitermachen, weil es mir wirklich Spaß macht. Es kann gut sein, dass irgendwann noch was kommt, das besser ist, aber im Moment macht mir die Arbeit Spaß und ich lerne unheimlich viel.
Wie fühlt es sich an, wenn die eigene Doku im Fernsehen ausgestrahlt wird?
Im Vorfeld hatte ich mich super lange darauf gefreut, dass meine Doku ausgestrahlt wird. Aber als sie dann lief, habe ich sehr kritisch darauf geguckt. Ich hatte ein wenig Angst, dass mir irgendein Fehler auffällt. Aber eigentlich haben Freude und Stolz überwogen, das ist schon was total Besonderes!
Welche Dokus schaust du selbst gerne? Kannst du eine bestimmte Doku empfehlen, die du vor Kurzem gesehen hast?
Ich schaue eigentlich ganz unterschiedliche Dokumentationen. Dabei muss ich nur immer das Gefühl haben, dass man etwas Neues sieht und lernt, dass man Einblicke bekommt, die man normalerweise nicht bekommt und besondere Geschichten und Bilder gezeigt bekommt. Aber ich bin nicht auf ein bestimmtes Thema festgelegt.
Zuletzt hat mir besonders gut der Film über die MOSAiC-Expedition gefallen, der in der ARD lief („Expedition Arktis“). Darin geht es um eine Gruppe von Wissenschaftlern, die zu einer einjährigen Expedition an den Nordpol aufbrechen und mit der Kamera begleitet werden. Den fand ich super gut!
Die Dokumentation „Expedition Arktis“ ist noch bis zum 16.12.2020 in der ARD-Mediathek abrufbar.