3 Tipps: Literatur

Viele Literaturveranstaltungen müssen in diesem Jahr ausfallen: große Events wie die Leipziger Buchmesse, aber auch unzählige kleinere Lesungen und Messen. Das ist nicht nur für die Veranstalter*innen ein großer Verlust, sondern auch für die vielen Besucher*innen und Literaturliebhaber*innen, die sich darauf gefreut hatten. Passend zum Welttag des Buches am 23. April habe ich mir deshalb überlegt, zwei Hobbies von mir – Dokus und Literatur – miteinander zu verbinden, und habe drei Doku-Tipps zusammengestellt, die nicht nur informativ und unterhaltsam sind, sondern auch Lust aufs Lesen machen – von Zuhause aus!

1. „Mythos Frankenstein – Die Grenzen wissenschaftlichen Strebens“, ZDF (Terra X), 2017, Länge: ca. 45 Minuten

Die Geschichte von Mary Shelleys „Frankenstein“ kennt wahrscheinlich jeder: Der Wissenschaftler Viktor Frankenstein will das Geheimnis des Lebens ergründen, er erschafft aus Menschenteilen eine lebendige Kreatur, die sich seiner Kontrolle nach ihrer „Auferstehung“ jedoch schnell entzieht und sich selbstständig macht. Die Terra-X-Doku nähert sich der Frankenstein-Thematik aus einer wissenschaftlichen Perspektive. Wo sind die Grenzen der Wissenschaft? Ist es möglich, Leben zu erschaffen? Was passiert, wenn Technologie außer Kontrolle gerät? Dramaturgisch wie eine Art Thriller aufgezogen, wird die Entstehungsgeschichte von Mary Shelleys Roman (erschienen 1818) erzählt und aktuellen wissenschaftlichen und ethischen Debatten gegenübergestellt. Nachgestellte Szenen untermalen die spannende und düstere Atmosphäre der Doku, ganz im Stil der Schauerliteratur der Romantik, zu der „Frankenstein“ zählt. Als Zuschauer*in erfährt man Details aus der Handlung des Romans, im Vordergrund steht jedoch nicht die Literatur, sondern wissenschaftliche Themen wie Transplantationsmedizin, Gentechnologie und Künstliche Intelligenz. Dabei wird auch auf den wissenschaftlichen Stand zur Zeit Shelleys eingegangen und erklärt, wie Literatur und Wissenschaft sich mitunter wechselseitig beeinflusst haben.

typisch Terra X: unterhaltsam und kurzweilig; spannende Verknüpfung eines literarischen Klassikers mit hochaktuellen wissenschaftlichen Themen; nicht nötig, dass man den Roman „Frankenstein“ im Detail kennt

die vielen nachgestellten Szenen sind zwar unterhaltsam, lassen aber die Grenze zwischen Fakt und Fiktion ein wenig verschwimmen

2. „Jane Austen: Behind Closed Doors“, Timeline – World History Documentaries, 2019, Länge: ca. 60 Minuten

In dieser englischen Dokumentation wandelt man auf den Spuren von Jane Austen. Die Historikerin und BBC-Moderatorin Lucy Worsley besucht die Orte und Gebäude, in denen die Schriftstellerin gelebt hat, versetzt sich in ihr Leben hinein und versucht der Frage nachzugehen, inwiefern Austens Romane von den Orten, an denen sie sich aufgehalten hat, beeinflusst worden sind. Lucy Worsley besichtigt prächtige Anwesen, die noch aus dem 18. Jahrhundert erhalten sind, und Schauplätze, die längst nicht mehr von den Häusern, die zur Zeit Austens dort standen, zeugen. In Steventon, wo Jane Austen aufgewachsen ist, befindet sich heute zum Beispiel nur noch eine große Grasfläche statt eines Wohnhauses. Das Gebäude in Bath, in das sie mit ihrer Familie im Jahr 1801 im Alter von 25 gezogen ist, kann heute noch besichtigt werden. Was vielleicht nach einem eher trockenen Thema klingt, wird durch die lockere und humorvolle Art Lucy Worsleys zu einer interessanten Zeitreise, die einen tiefen Einblick in die Biografie der Schriftstellerin und in die Regeln der Gesellschaft im England des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts gewährt. Kurze Auszüge aus den Werken Jane Austens werden in der Doku nachgespielt, inhaltlich wird auf ihre Romane aber nur wenig eingegangen. Alle Orte, die im Leben Austens eine Rolle gespielt haben, werden im Film so gezeigt, wie sie heute aussehen, trotzdem kann man sich sehr gut in das Erzählte hineinversetzen.

sehr faktenreich, aber trotzdem unterhaltsam; atmosphärische Hintergrundmusik

wahrscheinlich interessanter, wenn man die Romane von Jane Austen kennt

3. „Friedrich Hölderlin. Dichter sein. Unbedingt!“, ARTE, 2019, Länge: ca. 50 Minuten

Der Anfang dieser Doku wirkt wie der Auszug aus einem Spielfilm: Ein Mann wird 1806 gewaltsam aus seinem Zuhause geholt und in einer Kutsche abtransportiert. Er wird in eine psychiatrische Klinik in Tübingen gebracht, wo er die nächsten 231 Tage quälende Behandlungen über sich ergehen lassen muss, bevor er schließlich entlassen und einer Pflegefamilie übergeben wird, in deren Haus er die folgenden 36 Jahre bis zu seinem Tod in einem Turmzimmer verbringt. Die Diagnose: Wahnsinn. Die Rede ist von dem Dichter Friedrich Hölderlin. Nach dieser spannenden Spielszene zum Einstieg geht die Doku einen Schritt zurück und rekonstruiert das Leben Hölderlins von dessen Kindheit an. Historisches Material wie Briefe, Auszüge aus seinen Gedichten und Gespräche mit Literaturwissenschaftlerinnen, Schriftstellern und Psychologen setzen sich zu einem Bild zusammen, untermalt wird das Ganze von weiteren Spielszenen und Skizzen. Das Leben des Dichters wird eng verknüpft mit den politischen Entwicklungen seiner Zeit: Die Französische Revolution ist ausgebrochen, Hölderlin begeistert sich für die politischen Ideale der Revolutionäre und träumt von einer ähnlichen Revolution in Deutschland. Sein politisches Engagement wird in der Doku ebenso eingefangen wie seine dichterischen Bestrebungen. Schauspieler Thorsten Hierse, der in den Spielszenen Hölderlin darstellt, bereist die Orte, an denen der Dichter gewirkt hat, dabei werden moderne Aufnahmen (z.B. Hierse im Zug) sehr schön mit den Gedichtauszügen und Erzählungen über Friedrich Hölderlins Leben verknüpft. Insgesamt verfolgt die Doku einen sehr interessanten, künstlerischen Ansatz: Es werden Momente aus dem eigenen Entstehungsprozess gezeigt, man sieht beispielsweise, wie die Spielszenen und Skizzen entstehen, oder wie Thorsten Hierse vor einem Mikrofon die Gedichtauszüge einspricht, die an anderer Stelle die Szenen untermalen.

künstlerische Umsetzung, dadurch fesselnd; schön erzählt; auch interessant, wenn man Hölderlins Werke nicht kennt

manche Szenen wirken etwas aufgesetzt und nicht ganz authentisch; es ist nicht ganz eindeutig, wie groß der Teil der Spielszenen ist

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